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Vorsprung durch Grexit? (in German)

Opinion piece
Charles Grant , Christian Odendahl
17 April 2015
The original article in English can be found here.

Im Spiel mit dem Feuer zwischen Griechenland und dem Rest der Eurogruppe hat die entscheidende Phase begonnen. Eine Kernfrage dabei ist, ob Deutschland einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone zulassen wird.

Die meisten Entscheidungsträger in Berlin sagen, Griechenland solle anfangen, echte Reformen umzusetzen, oder den Euro verlassen. Für Griechenland wird es immer schwerer, Schulden zu bedienen sowie Löhne und Renten zu bezahlen. Mit jeder Woche, die vergeht, wird eine griechische Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher.

"Wir waren nie näher an einem Grexit, und wir sind wirklich nah dran", sagt ein hochrangiger Regierungsvertreter in Berlin. Aus der Bundesregierung heißt es, man könne nicht erkennen, dass die griechische Regierung vorhat, den Arbeitsmarkt zu reformieren, die Korruption zu bekämpfen, die Steuern einzutreiben, die finanzpolitische Disziplin zu erhöhen oder die Vetternwirtschaft zurückzudrängen. "Im Angesicht eines Grexit könnte Ministerpräsident Alexis Tsipras einen Kurswechsel vollziehen und seinen Koalitionspartner auswechseln. Aber wir haben keine Ahnung, was er machen wird", sagt ein Regierungsvertreter. Hofft Tsipras darauf, dass die Bundesregierung einknickt? Ist er einfach nicht in der Lage, die vielen Gruppierungen in seiner Regierung zu kontrollieren? Will er Griechenland überhaupt im Euro halten? Die Bundesregierung weiß es nicht.

Deutsche, die einen Grexit befürworten, argumentieren, dass das gut für die griechische Wirtschaft wäre. Voraussetzung wäre aber, dass der Grexit ordentlich gemanagt würde. Denn den Euro zu verlassen, ist schwierig: Millionen von Verträgen müssten umgeschrieben werden, ausländische Schulden (in Euro oder Dollar) würden aufgebläht, wenn sie in neuen Drachmen berechnet würden - das würde Unternehmen und vor allem Banken in die Pleite treiben. Der Inflationsdruck wäre hoch - das würde den Konsumenten wehtun. Es ist keineswegs sicher, dass das griechische Finanzsystem nach einem Grexit stabil und die Inflation beherrschbar bliebe. Die tieferen strukturellen Probleme des griechischen Staats und der griechischen Wirtschaft blieben ungelöst. Kurzfristig würde die griechische Wirtschaft möglicherweise anziehen, mittelfristig würde das Wachstum bei ausbleibenden Strukturreformen jedoch wieder verlangsamt.

Bundesregierung hält Grexit für beherrschbar

Einige deutsche Regierungsvertreter vermuten, dass ein Grexit ein langsamer Prozess wäre. Griechenland würde nicht infolge einer Entscheidung des Europäischen Rats oder der Europäischen Zentralbank aus dem Euro geschoben, glauben sie. Stattdessen würde der griechischen Regierung das Geld ausgehen. Sie würde Schuldscheine als Parallelwährung ausgeben, Kapitalkontrollen einführen und im Bankensektor massiv intervenieren. Dies wäre keine stabile Situation; unter solchen Bedingungen würde die Wirtschaft nicht wachsen. Die griechische Regierung würde vermutlich zu dem Schluss kommen, dass es am besten wäre, den Euro auch offiziell zu verlassen. Griechenland hätte dann wenigstens die geldpolitische Hoheit zurückgewonnen, könnte die neue Währung abwerten und so die Nachfrage ankurbeln.

Mit Blick auf die Folgen sehen deutsche Regierungsvertreter einen Grexit optimistisch. "Für unseren Haushalt, für den Finanzsektor oder das Wirtschaftswachstum wäre das kein Problem", sagt einer. Die europäischen Steuerzahler haften für rund 240 Milliarden Euro griechischer Schulden, von denen die Deutschen 70 Milliarden Euro verlieren könnten. Die deutsche Regierung hält das für beherrschbar. "Eine positive Folge könnte sein, dass andere Länder ihre Hausaufgaben machen und disziplinierter werden." Dieses Argument hatte auch der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, kürzlich vorgetragen.

Ein Regierungsvertreter räumt ein, dass Deutschland auf eine stärkere Integration der Eurozone drängen müsste, wenn die Finanzmärkte infolge eines Grexit Aufschläge für Kredite an andere Euro-Staaten verlangen würden. "Wenn das passiert, müssten wir schnell handeln. Wir könnten dann hoffentlich vermeiden, die EU-Verträge zu ändern." Das könnte sich als zu optimistisch herausstellen: Wenn die Märkte wegen der Überlebensfähigkeit des Euro in Panik geraten, trotz aller Versprechungen der EZB, ist es unwahrscheinlich, dass kleine Schritte in Richtung einer politischen und wirtschaftlichen Integration sie beruhigen würden.

USA, IWF und EU-Kommission lehnen Grexit ab

Gibt es einen Unterschied zwischen den Ansätzen von Wolfgang Schäuble und Angela Merkel? Regierungsvertreter sagen, dass es grundsätzlich keine Differenzen zwischen den beiden gibt, auch wenn Merkels Rhetorik weicher ist. Beide wollen Griechenland im Euro halten - aber nicht unter allen Umständen, und nicht, wenn die griechische Regierung nicht die Kurve kriegt.

Merkel denkt aber zwangsläufig stärker an den geopolitischen Kontext als Schäuble. Sie steht unter diskretem Druck der US-Regierung, die sich wegen einer möglichen griechisch-russischen Annäherung Sorgen macht. Auch der IWF, die EU-Kommission, Frankreich und Italien wollen Griechenland im Euro halten. Viele europäische Regierungen würden ihre Kredite an Griechenland nur höchst ungern offiziell abschreiben. Die SPD lehnt einen Grexit ebenfalls ab und sagt, zumindest hinter vorgehaltener Hand, dass Deutschland es mit der Austerität während der Krise in der Eurozone übertrieben habe. Ein weiterer Grund, Griechenland in der Eurozone zu halten: Wenn Griechenland sich außerhalb des Euro erholen würde, würden sich Anti-Euro-Stimmen in anderen Ländern umso deutlicher artikulieren.

Auch die EZB lehnt einen Grexit weiter ab. Bei der nächsten Krise, befürchtet nicht nur die EZB, könnten die Finanzmärkte daran zweifeln, dass sich die wichtigsten Euro-Mitglieder und die Zentralbank für den Erhalt des Euro einsetzen. Dann wäre die Eurozone wieder an dem Punkt angelangt, den sie unbedingt überwinden wollte: dass sich selbst erfüllende Prophezeiungen eine Krise immer weiter verschärfen. Freiwillig würde die EZB ein solches Risiko nicht eingehen.

Man sollte außerdem nicht vergessen, dass laut einer neuen Umfrage 84 Prozent der Griechen den Euro der Drachme vorziehen. Syriza hat demnach kein Mandat, einen Grexit auszuhandeln. Die relativ hohen Zustimmungsraten der Regierung könnten rasch in sich zusammenfallen, wenn sie Kapitalkontrollen oder Bankenschließungen anordnen würde. Eine griechische Regierung, die sich auf den Weg in Richtung Grexit machte, könnte fallen, noch bevor das Ziel erreicht ist.

Merkel will den Schwarzen Peter nicht

Für Merkel ist offenbar wichtig, dass Deutschland nicht für einen Grexit verantwortlich gemacht werden kann. Einer, der mit ihr gesprochen hat, zitiert sie mit den Worten: "Wenn es zu einem Grexit kommt, werden die Menschen sehen, dass Griechenland seine Hausaufgaben nicht gemacht hat - nicht, dass wir die Solidarität verweigert haben." In diesem Schwarzer-Peter-Spiel hat Merkel derzeit die besseren Karten. Es ist erstaunlich, dass sogar jene, die glauben, dass die Eurozone die Austerität übertrieben hat - Frankreich und Italien, in gewisser Weise auch die EU-Kommission und der IWF -, vom chaotischen und konfrontativen Stil der griechischen Regierung, von ihrer extremen Rhetorik und ihrer unbeholfenen Diplomatie abgeschreckt wurden. Die Folge ist, dass Paris, Rom und Brüssel sich nicht für Griechenland einsetzen. Einige Mitglieder der Eurogruppe, vor allem Finnland, die Niederlande, die Slowakei und Estland, ermutigen Deutschland sogar, eine harte Linie zu verfolgen. Selbst die Spanier und Portugiesen, die ja "ihre Hausaufgaben" gemacht haben, gehören diesem Lager an.

Die Situation könnte jedoch kippen, wenn Deutschland einen Grexit erleichtern oder gar darauf drängen würde. Nicht nur die USA, der IWF und die internationalen Medien, wahrscheinlich auch Frankreich und Italien würden Deutschland dann für seinen Umgang mit der Eurokrise kritisieren. Die USA haben verstanden, dass sie in ihrer Rolle als Vormacht des transatlantischen Bündnisses Kosten für die Stabilität der gesamten Allianz tragen müssen. Genau das erwarten sie auch von Deutschland, der Vormacht in der EU. Im Fall eines Grexit würden die USA daher die Verantwortung dafür in Berlin sehen.

Griechen und Deutsche spielen mit dem Feuer: die Griechen, indem sie damit drohen, die Schulden aus den Rettungspaketen nicht zurückzuzahlen, die Deutschen, indem sie damit drohen, die Griechen aus dem Euro zu drängen. Natürlich müssen beide Seiten den Anschein wahren, für ihre Wähler zu kämpfen. Bei diesem Spiel könnten sich allerdings sowohl Griechenland als auch Deutschland die Finger verbrennen.

Es gibt keinen Zweifel, dass viele einflussreiche Stimmen versuchen werden, einen Grexit zu verhindern. Aber im Krisenmanagement der Eurozone spielt Berlin die entscheidende Rolle, und die zentralen Entscheidungsträger dort glauben, dass die griechische Mitgliedschaft im Euro unhaltbar wird. Deutschlands Freunde sollten der Bundesregierung helfen, das große Ganze im Blick zu behalten.

Charles Grant ist direktor, Christian Odendahl ist chefvolkswirt des Centre for European Reform in London.

Der vorliegende Text ist die leicht gekürzte Fassung eines Artikels, der zuerst auf der Webseite des CER erschien.

Übersetzung: Hubertus Volmer