Hilfe für Italien und Spanien ist gut investiert

Opinion piece (Capital.de)
Christian Odendahl
06 April 2020

Ich glaube, es ist nicht zu spekulativ zu sagen, dass die meisten Deutschen der Meinung sind, Italien und Spanien muss geholfen werden. Aber wie? Ich höre Eurobonds, Coronabonds, Haftungsunion, Transferunion, und blicke nicht mehr durch.

Verständlich, aber nicht verwirren lassen von der Selbstgewissheit derjenigen, die sich dazu äußern. Teilweise sind es alte Reflexe, die in der Eurokrise hundertfach antrainiert wurden, aber wir haben eine neue Situation.

Damals ging es um schlechtes Wirtschaften, heute um das Virus?

Genau. Damals war die Gemengelage zumindest uneindeutig, um es mal neutral zu formulieren. Und der Vorschlag für Eurobonds kam zu einer Zeit, als Länder sich am Markt zunehmend nicht mehr finanzieren konnten. Damals hatten wir weder einen Euro-Rettungsfonds wie den Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), noch die Bankenunion oder das berühmte Versprechen von Mario Draghi zu tun ‚whatever it takes’. Zu der Zeit kam der Vorschlag Eurobonds, aber er war unausgegoren und politisch naiv.

Und jetzt ist er es nicht mehr?

Die Eurozone hat nun erst mal die Institutionen, die sie braucht. Die Europäische Zentralbank (EZB) verhindert ausufernde Zinsunterschiede zwischen den Ländern, der ESM steht als Notfallfinanzierer bereit. Das Problem, dass sich Staaten in Krisen nicht mehr finanzieren könnten ist, sofern sie solvent sind, gelöst, ohne Eurobonds.

Aber warum wollen die Leute jetzt wieder Eurobonds?

Coronabonds. Der Name sagt: hier geht es nicht um eine Reform der Eurozone, oder Schuldenvergemeinschaftung mit offenem Ende, wie damals. Hier geht es nur um die Corona-Krise und ihre Eindämmung.

Okay, also zeitlich und inhaltlich begrenzte Eurobonds.

Das kommt auf die Ausgestaltung an. Nehmen wir Italien. Das Problem für Italien hat zwei Teile. Erstens, dass Italien sich momentan günstig verschulden können muss, wie Deutschland das kann, um der Krise zu begegnen. Zweitens, dass die Italiener nach dieser Krise nicht insolvent sein dürfen. Für beides müssen Lösungen gefunden werden, andernfalls haben wir in Europa ein sehr, sehr großes Problem.

Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft ja fleißig Anleihen aller Staaten, das dürfte doch erst mal reichen.

Das stimmt. Mit dem Eintritt der EZB in die Krisenbekämpfung – ein richtiger Schritt, finde ich – sind Zweifel an den Finanzmärkten zu Italien erst mal gebannt. Wenn man jetzt noch den ESM dazu gesellt, also in Form eines leicht zu bekommenden und ausreichend großen Corona-Kredit-Programms, dann sollte die Finanzierung Italiens in der Krise gesichert sein.

Aber der ESM darf doch nicht an ein insolventes Land Geld verleihen.

Eben. Daher muss der zweite Teil auch gelöst sein. Italien muss, trotz allem, solvent bleiben. Der ESM kann dazu beitragen: Die Finanzierungskonditionen des ESM sind sehr günstig, sowohl bezüglich des Zinses als auch bezüglich der Laufzeiten. Das spart Zinskosten und macht weniger abhängig vom Markt. Für Spanien haben drei Ökonomen kürzlich ausgerechnet, dass ein 100 Mrd. Euro Programm des ESM (circa ein Viertel seiner momentanen Kapazität) bis 2030 rund 100 Mrd. Euro Zinskosten für Spanien sparen könnte. Das ist schon ordentlich.

Das heißt, ein 100 Mrd. Euro Transfer nach Spanien durch die Hintertür?

Nein, das ist mir zu negativ. Es stimmt schon: Deutschland, Frankreich und andere starke Länder leihen dem ESM ihre Glaubwürdigkeit und erlauben dadurch günstige Konditionen für ESM Programme. Aber der ESM ist als Versicherung für Länder in Europa völlig richtig: Niemand weiß, welches Land als nächstes von einer Krise getroffen wird. Da einen Fonds zu schaffen, durch den starke Länder den schwachen ihre Glaubwürdigkeit leihen, ist ökonomisch vernünftig.

Aber kann der ESM Italien solvent machen?

Vielleicht, keiner weiß, wie diese Krise ausgeht. Italien hatte vor der Coronakrise einen Schuldenstand von 133 Prozent seiner Wirtschaftsleistung. (Deutschland steht bei 60 Prozent, die USA bei 108 Prozent, Japan bei 237 Prozent.) Der IWF hat kürzlich, vor der Corona-Krise, ausgerechnet was bei einem Wirtschaftseinbruch von 1,9 Prozent mit der italienischen Staatsschuld passiert. Wie soll ich sagen? Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern. Denn es war knapp, was die Solvenz angeht.

1,9 Prozent Einbruch? Geht es nicht eher um 19 Prozent oder etwas in der Größenordnung?

Wenn Italien es schafft, seinen Wirtschaftseinbruch in 2020 unter 10 Prozent zu halten, wäre das ein gutes Ergebnis. Die OECD schätzt, dass in Industrieländern die Wirtschaft in einem Sperrzustand wie momentan 25 Prozent unter ihrer Normalleistung fährt. Bei drei Monaten Sperre, und drei Monaten Erholung zum alten Stand, wäre die Wirtschaft schon um 8,3 Prozent geschrumpft. Wenn es in Italien über den Sommer hinaus dauert, und damit die Tourismussaison ausfällt, wäre der Schaden mit Sicherheit höher. Tourismus macht in Italien mehr als 10 Prozent des BIP aus.

Also ist Italien so gut wie pleite. Und wie machen wir Italien dann solvent?

Indem wir die Folgekosten in Europa gemeinsam tragen. Die EU sollte sich selbst verschulden, und Ländern bei Ausgaben helfen: wie denen für den Gesundheitssektor, für Kurzarbeit und Arbeitslosenversicherung, für Liquiditätshilfen für Unternehmen, und für ein richtiges Konjunkturprogramm nach der Krise. Es müssten wieder, wie beim ESM, die starken Länder wie Deutschland und Frankreich der EU ihre Glaubwürdigkeit leihen, damit die EU sich am Markt günstig verschulden kann. Die Rückzahlung dieser Kredite sollte dann über einen langen Zeitraum, vielleicht 50 Jahre, gestreckt sein, und wie der EU Haushalt nach BIP Anteilen bezahlt werden. Dadurch würden die Länder mehr zurückzahlen, die sich in den nächsten 50 Jahren gut entwickeln.

Das heißt aber, Italien würde auch zurückzahlen. Warum ist das keine Verschuldung?

Ökonomisch gesprochen ist es so etwas ähnliches: Italien bekommt Geld, muss es irgendwann zusammen mit anderen zurückzahlen. Aber erstens bekäme Italien mehr als andere, weil es härter getroffen ist. Und zweitens müsste es nur dann viel zurückzahlen, wenn es sich gut entwickelt – und das könnte Italien dann auch. Wenn es sich nicht gut entwickelt, müsste es sehr viel weniger zurückzahlen. Es wäre also Verschuldung mit zwei wichtigen Sicherheitsventilen.

… die der deutsche Steuerzahler finanziert.

Das stimmt nur zum Teil. Erstens verleiht Deutschland etwas, das für Deutschland im Moment kaum Return abwirft. Deutsche Staatsschulden sind so niedrig, dass eine implizite Erhöhung der deutschen Verschuldung durch die Garantien an die EU die Zinsen für Deutschland kaum erhöhen würden.

Wir verleihen also etwas, das uns finanziell im Moment nichts bringt, aber damit ist auch unser Sicherheitspuffer weg.

Weg nicht, aber reduziert ja. Zweitens profitiert der Steuerzahler ungemein davon, wenn der Süden Europas nicht in die Krise stürzt. Natürlich wäre der Steuerzahler ohne Corona-Krise besser dran, aber gegeben, dass die Pandemie gerade dabei ist, Südeuropa in die Insolvenz zu stürzen, ist es besser, wir helfen. Das hat mit dem Euro übrigens wenig zu tun: Hätten Italien und Spanien noch eigene Währungen, würden diese nun massiv abwerten, was nicht nur schwere ökonomische Verwerfungen mit sich brächte, sondern deutschen Exporteuren das Geschäft verhageln würde.

Helfen aus Eigennutz.

Das klingt mir jetzt zu negativ, aber man sollte es mitdenken. Und drittens müssen wir uns langsam Sorgen um die politische Einheit Europas machen. Wenn als Folge der Krise die Länder der EU wirtschaftlich auseinanderdriften, ist ein wichtiges Fundament der europäischen Einigung in Gefahr: dass es allen wirtschaftlich in der EU besser geht, nicht nur den starken. Und dass wir keine Divergenz sondern Konvergenz der Lebensstandards haben. Deutschland profitiert von der europäischen Einigung ungemein, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Dass man als größtes und stärkstes Land auch finanziell in diese Einheit von Zeit zu Zeit investieren muss, sollte eigentlich klar sein.

Christian Odendahl ist Chefvolkswirt des Londoner Centre for European Reform (CER).